Die Begegnung
In den Sommerferien war ich in Ferragudo, einem keinem Fischerdorf in Portugal. Dort kam es zu einer Begegnung, die mir eine sehr interessante Sichtweise auf das Leben gab.Eines Mittags ging ich - wie häufig zu dieser Zeit - am Strand entlang, ich liebte das Geräusch der Wellen, die gegen die Felsen schlugen und den warmen Sand zwischen meinen Füßen. Doch am schönsten war es, auf das endlose Meer zu blicken, ahnend, dass man nur ein kleiner Teil vom Ganzen ist. Ich beobachtete auch gern die Menschen am Strand, die Fischer, die eifrig ihren Fischfang aus ihren Booten zerrten, die Kinder, die Volleyball spielten und die Urlauber, die sich in der heißen Mittagssonne bräunten.
Es war ein kleines rotes Zelt neben einem Kajak, gefüllt mit Rafting Equipment. Nichts Außergewöhnliches. Viele Leute zelten am Strand. Aber ich hatte es noch nie getan. Oder sollte ich sagen – gewagt? Wie es wohl war, so allein, so unabhängig unterwegs zu sein?
Ich ging auf das Zelt zu, um zu sehen, wer der Eigentümer war, als mir plötzlich ein kleiner schwarzer Hund entgegensprang. Da öffnete sich das Zelt und eine Frau schaute mich fragend an. Ich begann zunächst, mich auf Englisch zu erklären, doch sie unterbrach mein Gestammel, indem sie lässig meinte, wir könnten ruhig Deutsch reden. Die Frau trug ein einfaches Shirt und eine kurze Hose. Die Salzränder auf ihrem Oberteil und ihre gebräunte Haut verrieten mir, dass sie viel unterwegs war. Ich schätzte sie auf Ende 20. Ich stellte mich vor und fragte sie, woher sie ihr Schlauchboot hatte. Wir kamen ins Gespräch und ich erklärte ihr, weshalb ich hier war.
Ich hatte tierischen Hunger und fragte sie, ob wir uns nicht in die Strandbar setzen wollten. Der kühle, angenehme Wind wehte uns durch die Haare, während wir auf die Sardinen warteten. In diesem Moment verspürte ich ein Gefühl von Freiheit und Frieden. Das Leben war auf einmal so leicht. Die fremde Frau mir gegenüber vertraut und aufregend fremd zugleich. Ich begann, sie auszufragen. Ich wollte erst einmal wissen, wie alt sie war und woher sie kam. In München wohne sie in einer 75quadratmeter großen Wohnung und 40 Jahre alt sei sie im Winter geworden, dabei strich sie sich durch ihr sonnengebleichtes Haar. Ihr sah man das Alter kein bisschen an. Anschließend wollte ich wissen, wie sie dazu kam, am Strand in einem Zelt zu schlafen und wie lange sie noch bleiben würde. Sie verriet mir, dass sie vor einiger Zeit schwer krank gewesen sei. In dieser langen, schwierigen Zeit habe sie begriffen, wie langweilig ihr Leben war und sie beschloss, dies zu ändern. Sie erzählte mir von ihrem Job, für den sie zwar studiert habe und dann doch nur im Büro saß – zusammen mit schlechtgelaunten, missgünstigen Kollegen. Immer unter Druck. Das ginge ihr alles auf die Nerven. ,,Ich brauch sowas nicht in meinem Leben, ich will die Welt entdecken und nicht mein ganzes Leben vor einem Computer hocken und arbeiten´´, schimpfte sie. ,,Ich kündigte also meinen Job, kaufte mir ein Boot und vermietete meine Wohnung. Dann nahm ich den nächstbesten Flug", erzählte sie entschlossen. Ich war sehr begeistert, denn es gibt nicht viele Menschen, die das durchziehen würden und ich kannte auch keine. Wir redeten ununterbrochen. Ich löcherte sie immer weiter mit Fragen. Seit wann war sie unterwegs? War sie zuvor schon allein gereist? Gab es ein Ziel? Ich wollte wissen, ob sie manchmal Angst hatte und wovon sie träumte, ob sie eine Familie hat, wie sie sich unterwegs versorgte, ob sie viele Leute kennenlernte.
Sie hatte mir erklärt, dass ihr während ihrer Krankheit auch bewusst geworden war, dass sich die meisten Leute in einer Tretmühle befänden. Sie wären Gefangene ihres Alltags und vergaßen dabei Tag für Tag das Menschsein. Natürlich gebe es auch Leute, die glücklich sind. Doch viele realisierten nicht, dass es nur dieses eine Leben gibt. Sie realisierten nicht, dass sie allein dafür verantwortlich sind, dass sich Ziele und Wünsche erfüllten und dass sie glücklich sind. Plötzlich sagte sie, eigentlich wäre sie gern Schauspielerin geworden.
Dann schaute sie mich an: "Du musst deine Ziele verfolgen, egal was andere sagen, denn es ist dein Leben!" Da erkannte ich, dass mir die Welt offen steht.
Ich wollte, dass sie mir mehr von dem Leben am Strand erzählt, also fragte ich, ob sie sich nicht manchmal allein fühlte, doch sie erwiderte, dass das Gegenteil der Fall sei, sie sei ständig unter Menschen und ihr Hund begleite sie immer. Zu diesem Zeitpunkt schlief er gerade unter dem Tisch. Außerdem sei die Einsamkeit kein Problem, wenn man offen ist für Neues. Wann ihr Boot zum Einsatz kommt, erzählte sie mir als nächstes. Normalerweise war sie den ganzen Tag im Kajak unterwegs. Aufgrund der schlimmen Waldbrände konnte sie allerdings die gesamte letzte Woche nicht raus aufs Meer.
Zu meinem Glück, sonst hätte ich sie nie getroffen, denn sie schläft nicht immer am selben Strand.
Wir waren jetzt fertig mit dem Essen und zahlten.
Marie Schulz ,10c