Irreversibel - eine außergewöhnliche Aufführung

18.06.2015

Darstellendes Spiel vor und hinter der Bühne

Am 18. Juni 2015 fand die Aufführung des DS-Kurses von Frau Lettl statt, die erste DS-Aufführung in unserem Jahrgang. Gegeben wurde ein Stück mit dem mehrdeutigen Titel Irreversibel, der bereits auf das Zentrale Motiv des Stücks hinweist: Dieses wurde nämlich auf der Grundlage von Dürrenmatts Physikern von den Schülern selbst entwickelt.

Ach was war die Aufregung groß! Bis zur letzten Minute vor der Aufführung, auf die wir so lang hingearbeitet hatten, wurden Kostüme zurecht gerückt und das Make-up aufgebessert. Ich, Dalina Mundinac alias Oberschwester Martha, oder auch die, die sich gern mit der Polizei anlegt, habe gezittert wie verrückt hinter der Bühne. Würde ich wie bei der Generalprobe zum falschen Moment auf die Bühne rennen? Oder meinen Einsatz verpassen? Oder gar meinen Text?! Die Nervosität pulsierte bei jeder Sekunde, die hinter der Bühne verstrich. Um dagegen anzuwirken, kamen die kuriosesten Mittel zum Einsatz. So wurden hinter der Bühne Kniebeugen gemacht und es wurde sich über den neuesten Klatsch und Tratsch ausgetauscht. Das hatte einen positiven Nebeneffekt. Abgesehen von der Ablenkung mussten wir auch lachen und das entspannte uns doch ziemlich.

Das Publikum war unruhig. Ein andauerndes Gemurmel lag über der Menge und die ersten Szenen wurden von leisem Gelächter begleitet. "Das kann ja wohl nicht wahr sein!", schnauzte Frau Hofmann schließlich in Richtung der glucksenden Reihen. Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Wenige Minuten später senkte sich allerdings ohnehin ein tiefes Schweigen über den Zuschauerraum: Alle waren viel zu sehr von diesem Stück gefangen genommen, das sich da vor ihren Augen abzuspielen begann.

Als wir auf die Bühne kamen, war es, als würden wir das schon seit Jahrzehnten machen. Das und nichts anderes. Jeder stand richtig, jeder konnte seinen Text, niemand verpasste seinen Einsatz. Um ehrlich zu sein, hatten wir doch alle etwas Zweifel gehabt. Auch wenn Frau Lettl, für die man einen ganzen Artikel voll Lobhüddelei schreiben müsste, um ihrer fantastischen Arbeit gerecht zu werden, uns immer wieder beruhigte und uns versicherte, dass wir großartig waren, nagte der fiese Zweifel an uns und lies uns nervös werden.

Vom Zuschauerraum aus ist von Nervosität nichts zu merken. Das Stück nimmt seinen Anfang mit einem Polizeiverhör: Offensichtlich hat ein Wahnsinniger seine Krankenschwester in der Anstalt umgebracht. Deren Leiche liegt als ein weißer Kreideumriss auf einer lebensgroßen Plexiglaswand auf dem Bühnenfußboden, darüber gebeugt ein nachdenklicher Arzt, im Vordergrund zwei sich mit Unbehagen umsehende Polizisten und eine aufgedreht-arrogante Oberschwester mit Namen Martha. Diese hat von Anfang an dank ihrer frechen und ironischen Art die Lacher und die Bewunderung der Figuren und Zuschauer gleichermaßen auf ihrer Seite.

Nach und nach begegnen uns all die Namen und Figuren, die zumindest mir noch von Chantals Buchvorstellung aus diesem Fack ju Goethe – Video in Erinnerung geblieben sind. Doktor Möbius, die Hauptfigur des Stücks, lebt als Wahnsinniger in einer Psychiatrie – pardon, einem Irrenhaus. Dort betreibt er auf seinem Zimmer physikalische Forschungen, ist jedoch überzeugt, dass ihm diese ausgerechnet vom König Salomon diktiert werden, der ihm als Vision erscheint. Möbius scheint dauernd erbost zu sein, ganz besonders als er auf seine Familie und den neuen Mann seiner Exfrau, einen mit affektiertem Akzent sprechenden Amerikaner (und ebenfalls Publikumsliebling), trifft: Er tobt, schreit, lacht wie von Sinnen. Ein Wahnsinniger wie aus dem Bilderbuch, dessen Entrücktheit in fast schon beängstigender Weise auf der Bühne präsent wird. Seine beiden Zimmernachbarn sind ebenfalls Physiker, die sich allerdings selbst für Newton und Einstein halten. Dementsprechend sind auch ihre "Zimmertüren" beschriftet, die drei rechteckigen Stellwände im hinteren Teil der ansonsten leeren Bühne, die ein stilisiertes Abbild des Irrenhauses sind.

Die Krankenschwester vom Beginn des Stücks wurde von Einstein ermordet, erfahren wir, und ebenso, dass auch Newton vor nicht allzu langer Zeit seine Krankenschwester tötete. Kurz darauf bringt schließlich auch Möbius seine Krankenschwester und Geliebte in einer herrlich symbolischen Szene, in der die Beiden nur als Schattenrisse hinter einem weißen Laken zu sehen sind, um.

Erneut erscheint die Polizei, diesmal im direkten Gespräch mit der Hausleiterin. Witzigerweise werden hier plötzlich die Rollen vertauscht: Während die frustrierte Hausvorsteherin inzwischen den drei Wahnsinnigen Schuld an den Morden gibt, haben die beiden Polizisten deren früheres Beharren auf die Unschuld der Kranken bereits so verinnerlicht, dass sie es sich nicht nehmen lassen, sie jedes mal mit süffisantem Grinsen zu korrigieren, wenn sie "Mord" anstelle von "Unglücksfall" sagt. Während des ganzen Stücks wird die Hausleiterin außerdem von einer Art personifiziertem Wahnsinn begleitet, einer Zwangsjacke tragenden Irren, die stets mit entrückter Stimme Echos produziert. Sie ist Sinnbild für die Situation im Irrenhaus, für das Zusammenbrechen der Werte, die Unsicherheit, das Lauern des Wahnsinns.

Bei einem scheinbar zufälligen Zusammentreffen der drei Physiker kommen schließlich auch die Gründe für die Morde ans Licht. Jeder der Physiker hütet ein Geheimnis, dem die aufdringlichen Krankenschwestern auf die Schliche zu kommen drohten: In Wahrheit ist keiner von ihnen verrückt. Möbius versucht unter dem Deckmantel des Wahnsinns lediglich, seine Forschungen vor der Menschheit geheim zu halten, um diese so vor dem Untergang zu bewahren. Einstein und Newton hingegen, so stellt sich heraus, sind Mitarbeiter zweier konkurrierender Geheimdienste, beide im Versuch, an Möbius' wissenschaftliche Schriften zu gelangen. Doch wo hört Wahnsinn auf, wo fängt er an? Ist ein Mörder nicht immer ein Wahnsinniger? Irgendwo zwischen diesen verwischenden Grenzen verlieren sich auch unsere drei Hauptfiguren, zwischen Vernunft und Wahnsinn, Spiel und Realität, Rationalität und Gefühl.

Die Schlussszene setzt dieser Kontroverse schließlich die Krone auf, als die Hausleiterin zu den Physikern tritt und gesteht, selbst Abschriften von den Werken des Möbius angefertigt zu haben. Nicht die Physiker sind verrückt, so stellt sich heraus, sondern die Leiterin des Irrenhauses. Damit wird das allgegenwärtige Motiv des Rollentauschs weiter fortgeführt. Das Höchstmaß an Irrsinn ist erreicht, als sich die beeindruckende Persönlichkeit der Hausleitung schließlich zu der noch viel eindrucksvolleren Gestalt des haltlosen Wahnsinns wandelt. Das Ende der Menschheit scheint besiegelt zu sein.

Letztendlich war das Stück ein voller Erfolg. Wir gingen aus uns heraus und verkörperten mit Leib und Seele unsere fiktiven Charaktere. Das war ein purer Moment voll Erfüllung auf der Bühne.

Ich möchte mich im Namen aller Beteiligten herzlich bedanken, bei Frau Lettl für die ganze Geduld und harte Arbeit, die sie in dieses Stück hineingesteckt hat und bei all denen, die zu unserer Aufführung gekommen sind.

Auch für den Zuschauer war dieses völlige Aufgehen in der Rolle zweifellos spürbar. Irreversibel ist ein einzigartiges Stück, dass in seiner Durchführung deutlich über das übliche Niveau einer Schulaufführung erhaben ist. Ein Stück, bei dem tatsächlich alles gepasst hat, bei dem niemand plötzlich kichernd aus seiner Rolle fiel oder seinen Text nur mürrisch vor sich hin brubbelte. Der ganze Kurs schien eine sehr stimmige Truppe zu sein, in der jeder seinen Platz hat und jedes Zahnrädchen exakt in das nächste griff. Unheimlich. Unheimlich gut.

Kleine Nebeninfo: Wir führen unser Stück noch einmal für die Mittelstufe auf. Also falls ihr es noch nicht gesehen habt, oder es noch ein zweites Mal sehen möchtet, sprecht mit euren zuständigen Lehrern und kommt vorbei.

Von Dalina Mundinac und Lisa Starogardzki, 2. Semester, Juni 2015