Literatur in der Schule - brauchen wir einen literarischen Kanon?
"Kabale und Liebe", "Der Richter und sein Henker", "Das Fräulein von Scuderi" und "Die Leiden des jungen Werther". All diese Buchtitel sind den meisten von uns Schülern ein Begriff. Bei dem einen wecken sie vielleicht Freude, doch bei den meisten eher schlechte Erinnerungen. Bücher in der Schule sind oft etwas, das von dem Großteil der Jugendlichen verabscheut wird: "Schon wieder eines dieser alten Bücher? Das ist doch gar nicht mehr aktuell und die Sprache erst – versteht doch kein Mensch."
So oder so ähnlich habe ich auch gedacht, nachdem wir das vierte oder war es das fünfte Buch innerhalb von 2 Jahren in der Unterstufe gelesen haben. Dazu noch diese scheinbar endlosen Aufgaben, die von Charakterisierungen bis zu Zusammenfassungen eines 30 Seiten Kapitels so ziemlich alles beinhalteten. Für mich persönlich war das ziemlich demotivierend und im Verlauf der Deutschstunde wurde ich zunehmend müder und es fiel mir schwer, nicht dem Ende der Stunde entgegenzufiebern.
So kam es also dazu, dass ich, ein sehr viel lesendes Kind, als junger Jugendlicher kaum noch las, was ich im Nachhinein ziemlich schade finde. Vielleicht fühlte ich mich zu cool, um ein Buch in die Hand zu nehmen, denn Bücher sind doch völlig überholt im Zeitalter von Smartphone und Fernsehen!? Ja, so dachte ich tatsächlich. Mit der Einschulung am Gymnasium war es fast so, als würde ich eine unsichtbare Barriere überschreiten und nahm kaum noch ein Buch zur Hand, um zu schmökern. Dass das nicht nur mir so ging, sondern vielen meiner Mitschüler, bemerkte ich schnell und so kam es schließlich dazu, dass sich das Lesen bei mir im Gehirn als etwas, was nur "komische Menschen" machten, verankerte.
Wie es wieder dazu kam, dass ich anfing zu lesen, kann ich ehrlich gesagt nicht mehr genau sagen, jedoch weiß ich, dass meine Wahl, Deutsch als Leistungsfach zu nehmen, wesentlich dazu beigetragen hat. Es ist eigentlich merkwürdig, dass ich genau das Fach genommen habe, was mich in der Unterstufe schlicht gelangweilt hat. Doch was auch immer mich zu dieser Entscheidung bewegt haben mag, ich bin froh darüber, denn so wurde mein Interesse an Literatur wieder geweckt. Ich habe meine Freude mittlerweile auch an älteren Büchern gefunden und meine Einstellung zum Lesen hat sich schlicht grundlegend geändert.
Doch ob es für den Schullunterricht nun wirklich einen literarischen Kanon braucht, kann ich trotz meiner im Endeffekt positiven Erfahrung nicht sicher sagen. Denn obwohl ich die Bücher, die wir in der Sekundarstufe I lasen, ziemlich ätzend fand, haben sie doch mein Interesse in der Oberstufe wieder geweckt. Vielleicht kommt es auf die Aufmachung an und zwar darauf, wie der unterrichtende Lehrer die ganze Sache angeht, aber es kann genauso gut sein, dass sich meine Meinung nur geändert hat, weil ich älter und dadurch auch reifer geworden bin. Doch was auch immer der Grund gewesen war, der Deutschlehrer oder die Deutschlehrerin sollte auf jeden Fall den Gedanken im Hinterkopf behalten, dass für die meisten Jungendlichen lesen öde ist und es daher eher kontraproduktiv ist, massenhaft Bücher zu lesen und die zehnte Charakterisierung anfertigen zu lassen. Trotzdem fände ich es sehr schade, wenn es keine Pflichtlektüren mehr geben würde, denn viele dieser Bücher hätte ich sonst nie auch nur mit dem kleinen Finger angerührt. Sie gehören meiner Meinung nach zur Allgemeinbildung. Deshalb denke ich, dass die Pflichtlektüre zu verbannen, ein großer Fehler wäre. Wo würden wir landen, wenn wir nur noch moderne Bücher läsen, würde dann überhaupt ein einziger Schüler das Lebensgefühl und die Denkweise längst vergangener Zeiten nachvollziehen und verstehen können?
Im Endeffekt kann man sich immer nur auf Geschriebenes beziehen, wenn man von vergangenen Jahrhunderten spricht und Schullektüren, auch Gedichte tragen einen wesentlichen Teil dazu bei. Fachübergreifend zu verstehen, was die Menschen zur damaligen Zeit bewegt hat und worin ihre Probleme lagen – das ist ein wichtiger Grund, dem Unterricht zu folgen.
Julia Vorderwülbecke, 3. Semester, September 2017.