Exkursion des Seminarkurses zur Handschriftensammlung in der Stabi unter der Linden

Dienstag, den 11. März 2025
Die Vibes der Stabi I

Wir nähern uns dem Ort des Geschehens lange durch steril wirkende Gänge mit grünem Plastiklaminat auf dem Boden. Die Atmosphäre erinnert mich an ein Krankenhaus. Doch hinter der nächsten Tür – "leise sein", heißt es von Dr.Geiß-Wunderlich – ändert sich der Vibe. Wir setzen unsere Füße auf den roten Teppich der Staatsbibliothek zu Berlin. Zu unserer Linken sitzen Studis an ihren Computern und arbeiten oder arbeiten vermeintlich. Einer ist nämlich auf der Website eines Online-Casinos unterwegs. Wir laufen im Gänsemarsch an den Studis vorbei und stehen vor der nächsten Tür. Dann sind wir da: In einem großen Bibliotheksraum. Ein Raum. Zwei Stockwerke. Kraaaasss, groß, denke ich. In der Mitte stehen zwei Tischreihen, die ein Rechteck formen. An den Wänden Regale voller Bücher. Nur an einer Wand nicht. An dieser Wand befindet sich die Projektion des Vortrags von Dr.Geiß-Wunderlich. Der Germanist, Historiker und Wissenschaftlicher Bibliothekar (Schwerpunkt Mittelalter) ist seit 2001 Mitarbeiter der Handschriftenabteilung (IIIA) an der Staatsbibliothek zu Berlin.
Auf den Spuren von Parzival
Manchmal fühlt sich Schule an wie ein endloser Strom aus Arbeitsblättern und Pflichtlektüren. Parzival wird ein weiterer Teil davon – denke ich. Dementsprechend ist die Motivation, ein über 800 Jahre altes Buch zu erarbeiten, mehr oder weniger non-existent. Großes Interesse an einem Besuch in der Handschriftensammlung ist daher erstmal auch nicht vorhanden.
Schon während der Einführung in den Roman spürte ich jedoch: Hier wird Geschichte lebendig. Zwischen uralten Büchern und fast zerfallenen Seiten erzählt Dr. Geiß-Wunderlich uns von einem Werk, das alleine durch sein Alter beeindruckt – "Parzival" von Wolfram von Eschenbach. Mittelalterliche Literatur klingt vielleicht für manche erstmal nach staubigen Geschichten über Ritter und Ehre. Aber was wir hier über Parzival erfahren, ist überraschend aktuell – und irgendwie ziemlich spannend.

Parzival ist eben nicht der perfekte Held, der mit strahlender Rüstung geboren wird. Er ist mehr so der Typ, der völlig unvorbereitet in die Welt stolpert. Fernab der höfischen Welt aufgewachsen, weiß er kaum, wie man sich überhaupt benimmt. Und genau das macht ihn so modern und besonders: Er lernt. Er macht Fehler. Er entwickelt sich. Und am Ende wächst er über jene hinaus, die von Anfang an als perfekte Ritter erscheinen. Gerade der Vergleich zu Gawan, dem klassischen Musterhelden und zweiten Protagonisten in Wolframs Epos, zeigt uns: Nicht der größte Kämpfer oder der geschickteste Redner wird zum wahren Helden, sondern derjenige, der ein Herz hat und leid- und liebesfähig ist. Eine Erkenntnis, die auch heute noch aktuell wirkt. Der Besuch in der Handschriftensammlung hat sich am Ende also doch gelohnt. Immerhin wird Parzival uns im Laufe des Semesters noch mehrfach begegnen. Und mit dem Wissen, dass hinter der Geschichte nicht nur Turniere und Schlachten stecken, sondern eine Entwicklung, die viel mit Selbstfindung zu tun hat, fällt der Zugang deutlich leichter. Es ist eben keine verstaubte Rittergeschichte – sondern ein erstaunlich modernes Stück über das Erwachsenwerden.
Das Nibelungenlied
"Nun geht es um das "Nibelungenlied", eines der bekanntesten Werke der mittelhochdeutschen Literatur. Folgendes findet man zum Inhalt: Es erzählt die Geschichte von Heldenmut, Liebe, Verrat und Rache und gehört zu den großen Epen der deutschen Kultur. Im Mittelpunkt steht der Drachentöter Siegfried, ein unbesiegbarer Held, der durch ein Bad im Blut eines Drachen eine nahezu unverwundbare Haut davonträgt – bis auf eine kleine Stelle auf seinem Rücken, die während des Bads von einem Lindenblatt bedeckt wurde. Siegfried gewinnt die schöne Kriemhild, Schwester des Burgunderkönigs Gunther, doch um ihre Hand zu erhalten, muss er Gunther dabei helfen, die starke Königin Brunhild zu bezwingen. Durch eine List gelingt ihm dies, doch dieser Betrug bleibt nicht ohne Folgen. Brunhild fühlt sich hintergangen, und als sie die Wahrheit erfährt, fordert sie Rache. Siegfried wird heimtückisch von Hagen, einem Vasallen Gunthers, ermordet – genau durch die verwundbare Stelle auf seinem Rücken. Kriemhild schwört Vergeltung und heiratet den Hunnenkönig Etzel (Attila). Jahre später lockt sie die Burgunder an Etzels Hof, wo sie schließlich blutige Rache nimmt. Am Ende steht eine Katastrophe: Fast alle Helden sterben, und Kriemhild selbst wird von Hagen getötet. Genug Yappa Yappa? Was genau zeigt uns diese Geschichte nun? Welche Werte vermittelt sie? Zuallererst muss ich natürlich meinen Senf dazugeben, damit ihr meine MEINUNG kennt, vielleicht auch als kleinen Orientierungspunkt, und das muss ja hier Quali haben. Also was zeigt uns das Nibelungenlied eigentlich? Für mich ist klar: Es geht um krasse Themen wie Ehre, Liebe, Verrat und richtig heftige Rache. Die Figuren leben in einer Welt, in der Stolz wichtiger ist als Vernunft – und genau das führt am Ende zum kompletten Untergang. Siegfried ist der Superheld, aber selbst er wird wegen verletztem Ego und hinterlistiger Rache umgebracht. Und Kriemhild? Die startet als liebe Prinzessin und endet als eiskalte Rächerin. Weil sie keinen Bock mehr hat, sich alles gefallen zu lassen. Ziemlich badass – aber auch ziemlich tragisch. Das Nibelungenlied zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn Gefühle und Machtspiele eskalieren. Und ehrlich: So mittelalterlich ist das gar nicht. Drama, Ehre, toxische Männlichkeit? Gibt's heute noch – nur ohne Schwerter. Ich persönlich habe das Nibelungenlied bereits 2020 kennengelernt - nämlich als Theaterstück. Nun, auch die Vorstellung von Dr.Geiß-Wunderlich in der StaBi war äußerst interessant. Mein Magic Moment war seine Rezitation aus dem Nibelungenlied. Dabei hörten wir nicht nur die ungewohnte mittelhochdeutsche Sprache, sondern auch eine Art Singsang, der uns zeigte, wie solche Epen dem Publikum damals dargeboten wurden.
Die Vibes der Stabi II
Gar nicht so langweilig, denke auch ich. Nach dem Vortrag des Forschers führt er uns noch durch das Gebäude. Nach einem Labyrinth aus Gängen stehen wir schließlich in einem großen Saal: drei Stockwerke hoch, an den Wänden überall Bücherregale, die bis unter die Decke reichen. Auf dem Boden wieder roter Teppich. In der Mitte lauter große Holztische mit Lampen drauf. Daran Studis, die büffeln – oder zumindest so tun. Wir setzten unsere Tour fort und kommen in einen der vielen Seitenräume des Hauptsaals. In diesem befanden sich noch mehr Bücher. Nach einem letzten Blick auf die schier endlosen Regale und die Studis, machen wir uns langsam auf den Rückweg. Draußen angekommen, atmen wir die frische Berliner Luft ein. Ein bisschen müde, ein bisschen inspiriert. Und ich dachte mir: Staatsbibliothek – hätte schlimmer kommen können.

Der Vibe der Stabi I / II: Maxim + Auf den Spuren von Parzival: Emma + Das Nibelungenlied: Aryan
Danke für das Organisieren dieses Ausfluges, liebe Frau Körting <3